RUCCOLA 1

R U C C O L A  8
 

und und

vom Lesen und Schreiben
 

1. Auflage August 2007 , 48 Seiten, 150 Hefte
 

Ebersberg bei München
 


zu Ruccola 8
 

Ein allfälliges Thema, seit dem ersten Lesen und von allem Schreibanfang an Freud und Leid und Schreibanreiz. Überwiegt beim Lesen das Freuen? beim Schreiben das Leiden?

Natürlich geht es nicht besonders hierarchisch zu im Heft, Schutzpatronin mag Frau Goethe in Frankfurt sein (zitiert auf S.2), wie sie über ihr Schreibpult berichtet: "Es sieht drinnen aus wie im Himmel. Alle Rangordnung aufgehoben". Keine Rangordnung also in Ruccola 8: Ein kleines Kind, das nicht lesen kann, "liest vor". Ein gesticktes Tuch in einer Alm, ein Papptäfelchen in einem Kiosk werden Leseerlebnisse (eins echt erlebt, eins erdacht). Eine Wolke schreibt Warnungen in den Wind. Ein Dichterschicksal wird aus dem Kinderbuch Die Langerudkinder noch immer nacherlebt. Natürlich wird in den Texten berührt und zitiert und beschrieben, von Franz Kafka bis zum Kinderdichter Frantz Wittkamp; Ilse Aichingers Gesicht wird im Fernseher gesehen, Lutz Seilers Klagenfurter Siegertext überdacht beim Himbeerpflücken.

In der Mitte des Heftes findet man die Beschreibung des Bildes, das über meinem Schreibtisch hängt: Hieronymus Bosch: Der Heilige Johannes auf Patmos.(Original in der Berliner Nationalgalerie). Hier geht der Blick von der anmutigen Hauptfigur zu dem kleinen Dämon, im Bild ganz unten rechts, der sehnsüchtig zu dem Schreibgerät des Heiligen späht. Das Gesicht des grotesken Kerlchens, das mich seit Jahren fasziniert, ist der Auslöser meiner Beschreibung gewesen.

 

Beispiele aus Ruccola 8:

 

So geht's

So geht's
Bei der Hitze
Zwischen Dösen und Tun
Nicht Textemassen -
Gedichte lesen!
Die gleiten rein
Lichtritzen
Wie durch's Rouleau
Die schmalen Zeilen
 

21. Juli 2007
 

 

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Eisiger Märzanfang

Nachts reiß ich das Fenster auf
Pflücke vom Apfelspalier einen Eiszapfen
Und esse ihn auf
Am Tag les ich viele Gedichte
Und es bleibt lange hell
 

2005 oder 2006

 

 

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Dichterlesung

Erich Fried in Kirchseeon
Während die eine Hand dem kranken und alternden Dichter das Gedicht vom Tod, das jetzt dran ist, hinhält, krabbelt die andere Hand des erfahrenen Dichters in den bereits gelesenen Papieren herum, bis sie die Uhr rausgefischt hat.

 

1984

 

 

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Viele Grüße aus Prag

Viele Grüße aus Prag!
Ich kaufte Tinte in Prag!
Schwarze Tinte in Prag!
Also: Viele Tinte aus Prag!
Viele liebe schwarze Tinte aus Prag!

 

vor 1989

 

 

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Ode auf eine Alte

Alt der wacklige Hut. Ruhm veraltet, schon fremd.
Aß vom bitteren Brot, schreibt sie an Gott und Mensch.
Himmelsflügel verlangt das
Siebzigjährige Mutterkind.

Mir sympathisch. Und Dank jedem unreinen Reim:
Schief, aber traumgenau hält er die Bilder. Huld-
Reich verschenkt die Verscheuchte
Abendländer und Morgengold.

Fasziniert, beinah fromm, froh oder was? macht mich
Wie diese Alte liebt, eh ihr der Leib zerbricht:
Zeil um Zeile begleiten
Geierflügel zum Holden sie.

 

1994 , gedr. im Organ der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft

 

 

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Classico

Winterlicht. Auf steinernen Stufen sitzen
Andachtsvoll drei Schüler, auf ihren Knieen
Halten sie drei schimmernde Schreibgeräte
? Drei Schachteln Pizza

 

2002

 

 

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...Ola empfand Finn plötzlich als fürchterlich überflüssig... „Merkwürdig, daß sie das genommen haben“. „Ja“, redete Finn lebhaft los, „verdammt merkwürdig. Es ist doch wahrhaftig nicht mein Bestes - dein Bestes, mein ich!“... „Aber warum steht denn Per drunter? Ich heiß’ doch Ola.“ „Ach, mach dir nichts draus!“ gab Finn zur Antwort. Die meisten begabten jungen Leute heißen gegenwärtig Per...“ Die Tochter des Zeitungsverlegers, die blonde Sonja, sie liest nun wirklich und allwöchentlich die Gedichte, findet sie „so treuherzig“, ahnt die Zusammenhänge, will ein eventuelles Genie nicht verkannt haben, geht mit dem Dichter ins Bristol zum Tanzen, ist eine feine Zuhörerin und weiß, etwas wehmütig, von der Adressatin aller Verse, der schwarzhaarigen Inger in Olas Bergen. Dieses kleine Rendezvous aber gefährdet das von Finn mühsam aufgebaute Geschäft, genau das durfte ja nicht passieren, denn genau auf seine Cousine Sonja erhebt der reiche Perceval Anspruch. Und platzt vor Wut, dass des Dichters Finn (wie er ja glaubt) bester Freund seine Dame ausführt. Finn: „Jetzt wo ich dich glücklich auf die Dichterbahn gebracht habe, ruinierst du alles miteinander“. Ola, endlich im Bilde, entgeistert von den Tricks seines Agenten, muss erkennen, dass er ausgerechnet seinem alten Feind sein gedrucktes Glück zu verdanken hat. Er verliert die Freude an den weiterfließenden kleinen Geldscheinen, noch mehr am neuen Anzug (der aber noch weiter abgezahlt werden muss), und, ja, sogar an der geliebten Beschäftigung, Verszeilen miteinander zu verschlingen. (Finn bleibt nichts übrig, als sich aus älteren Beständen zu bedienen). Die bleierne Freudlosigkeit wird von einer hellen Katastrophe abgelöst: die einzige Inger hat einen Abschiedsbrief geschrieben, sanft gedrängt von ihren Adoptiveltern, wohl auch von der Heimatgemeinde, die von einer Zeitverwendung durch Dichten erst einmal gar nichts hält (später, als man von den verdienten Kronen erfährt, etwas mehr). Die liebe Sonja aber, die Olas zerschmetterten Zustand bemerkt, ist ein bisschen übereifrig beim Helfen. Ihrem Vater schmeichelt sie ab, doch etwas mehr für den armen Verfasser der hübschen Verse zu tun, worauf man im Feuilleton prompt den Autor auffordert, als Redakteur mitzuarbeiten. Etwas, das Finn sich nun doch nicht zutraut. Der Feuilletonchef, als beide Freunde tapfer vor ihm stehn, nimmt Finns Betrug weiter nicht übel, ist auch bereit, für den echten Per alias Ola was zu tun. Ola aber, endlich wieder Herr seiner selber, bedankte sich sehr und - lehnte ab. Es würden von ihm keine Gedichte mehr in der Zeitung erscheinen. Was der Schriftleiter, bisher auf höheren Befehl ein warmer Freund von Olas Dichtkunst, nur vernünftig findet. ....(Ist denn Ola damals schon, im finstersten Tale, von seiner Dichterbahn abgesprungen? Nicht erst, als er Ingers erlösenden, s.u., alle arme Poesie wegblasenden Brief bekam? Meine Erinnerung ist da ganz schön ungenau gewesen). Jedenfalls: sofort, als er die Zeitungsgeschichte hinter sich hat, fühlt sich der Held so froh wie eine Lerche. Und es dauert nicht lange, da folgt dem Verzicht die ganz große Freude....

 

Auszüge aus: Auf der Dichterbahn

 

 

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.....Ein weißes, schmales, älteres, männliches Menschengesicht. Mit einem spitzen, nicht zu spitzen Kinn, einem blassen, kritisch verzogenen, aber nicht schmallippigen Mund, einer geraden, langen, ja doch: spitzen Nase. Auf dem mittleren Nasenrücken eine Brille mit weißen, kreisrunden Einfassungen, nicht durch, sondern drüber schauend dunkle begehrende Augen. Das alles im melancholischen Halbprofil. Während der groteske Körper uns stärker als der des schönen Johannes zugewandt ist, dreht sich das Gesicht aus der Kapuze so heraus, dass die Augen, ohne schielen zu müssen, auf das anscheinend begehrte Objekt starren können: das Schreibzeug in der Mitte zwischen ihnen und dem Wächtervogel. Man könnte ja..., eine Eisenstange mit drei Greifhäkchen lehnt in Reichweite an der Grasstufe. Die Stange in Händen, hätte man auch den Schreibköcher schnell herangeharkt. Wenn man nur nicht die Hände hochhalten müsste, von Johannes’ Vogel dazu gezwungen. Der Wachhund, der Falke, kennt offensichtlich die Teufelsunsitte, den Menschen ihre Schreibgeräte zu stehlen.

Aber wozu braucht ein kleiner Teufel einen Federhalter? Die Menschen zu hindern, heilige Texte zu verfassen? Oder die Schrift zu verhexen, ihr ein bisschen Teufelstinte einzutröpfeln? Hat der Kleine einen höllischen Auftrag? Zu menschlich, zu menschlich zweiflerisch, finde ich, schaut dieses fremde Wesen drein, das ist nicht eine Wut-, Angst-, Bedauerns-Miene wegen eines nicht ausgeführten Streiches, das ist ein zu langer Blick.....

Noch ein bisschen stumm in der Ecke hocken, die Nase spitz, die Hände hoch, der Körper entstellt, wie auf ewig so angekettet sein an die törichte Begehrlichkeitsschiene. Hin-, hin-, hinsehn, in schwermütiger Hoffnungslosigkeit verharren, hinter sich das kleine Höllenschlupfloch. Unheilig, glücklos, aber ihnen nah, den Heiligen, den Geglückten, den Entrückten. Deren nachlässig verstreute Zauberdinge im Auge haben, von ihnen unbemerkt . Im übrigen nicht ansprechbar.

 

2007 Auszüge aus: Überm Schreibtisch

 

 

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..“nun habe ich 'Ruccola 8' gelesen - und habe schöne Texte darin gefunden, die vom Alltag ausgehen und unter der Hand für die Verrückungen sorgen, auf die es ankommt. Und ich bedauere es, dass ich keine Zeitschrift mehr mache...Am meisten hat mich der 'Johannes' -Text beschäftigt, die wunderbare Beschreibung des Dämons... Das einfache Schauen ist nicht einfach, als unvoreingenommenes aber für jede Kunstbetrachtung nützlich und
notwendig...”

aus einem Brief von Jürgen Engler, Redakteur der neuen deutschen literatur (ndl), ab dem 501. Heft verantwortlich für die letzten - über 60 - Hefte.